Amateurfunk: Good Morning, Australia
Wenn Maggie Maas oder Alfred Fröschl ihr Funkgerät einschalten, wissen sie nicht, mit wem sie wo auf der Welt in Kontakt kommen - genau das ist der Reiz.
Um Viertel nach neun an einem Mittwochvormittag ereignet sich für Maggie Maas ein kleines Wunder. Sie dreht an dem Knopf ihres Funkgeräts, es rauscht, raschelt, knackst. Und plötzlich hört sie eine Männerstimme, auf Englisch, aus Victoria, Australien. "Good Morning." "Good Morning." Der Mann erzählt, dass es in Australien gerade ziemlich nass ist. Und Maas, dass in München die Sonne scheint. "Was für ein wunderbarer Start in den Tag, dass diese Verbindung geklappt hat." Maggie Maas' Stimme flutscht ein paar Oktaven höher, so sehr freut sie sich. "Great", sagt der Mann. "Wonderful", sagt Maggie Maas, eine schlanke Frau mit blonden Haaren, schwarzem Rock und Blümchenshirt, Geschäftsführerin einer Uhrenmanufaktur. Und Amateurfunkerin, so wie rund 75 000 Menschen in Deutschland.
Ein Tüftler vor dem Herrn: der Münchner Alfred Fröschl mit seiner Funkanlage.(Foto: Stephan Rumpf)
In Zeiten von Facebook und Twitter ist die Welt klein geworden. Revolutionen beginnen im Internet und Liebesgeschichten. Wer eine Frage hat, bekommt die Antwort von Google. Warum setzen sich Menschen heute noch stundenlang vor ein Gerät, um von irgendwoher ein Signal zu empfangen?
Im 19. Stock eines Hochhauses im Münchner Süden sitzt Maggie Maas in einem Zimmer, das nach altem James-Bond-Film aussieht. Vor ihr steht ein gutes Dutzend graue Kästchen mit kleinen Displays, Drehknöpfen, vielen Schaltern. Alles Funkanlagen. An der Wand hängen Karten, auf denen die Welt in kleine Quadrate eingeteilt ist. Über diesem Raum ist bloß noch der Himmel und eine Antenne, sieben Meter hoch. Das alles gehört Ulrich Rohde, den Maggie Maas nur den "Professor" nennt. Sein Vater gründete den Elektronikkonzern "Rohde & Schwarz". Ulrich Rohde lebt in Amerika und mietet diese Wohnung nur für sein Hobby. Maas besitzt einen Schlüssel und kommt hierher, wenn sie gerade Zeit hat. Sie wohnt nur zwei Stockwerke tiefer. Zufällig. Früher, erzählt sie, habe sie sich immer gefragt, was diese Antennen auf dem Dach eigentlich sollen. Maggie Maas lacht wie ein junges Mädchen.
Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Stapel Postkarten - von den Azoren im Atlantik, von Trinidad in der Karibik und dem afrikanischen Inselstaat São Tomé und Príncipe. Palmen, Frauen im Bikini, kristallblaues Wasser. Für eine Verbindung, die ein Amateurfunker irgendwo auf der Welt hergestellt hat, bekommt er eine Karte, als Beweis sozusagen. Englert hat 40 000, schätzt er, eingeordnet in einen Karteikasten. "Wir Funker haben 50 Jahre vor Facebook ein internationales Netzwerk aufgebaut." Ein bisschen stolz hört sich das an.
Englert funkt, seitdem er 15 ist. Seine Neugier brachte ihn zu dem Hobby. Als Kind war er von der langen Antenne im Nachbargarten der Großmutter fasziniert. Irgendwann fragte er nach und der Nachbar zeigte ihm seine Anlage. "Das war irre. Die ganze Welt in einer Box."
20 Kilometer weiter nordöstlich, in Kirchheim am Stadtrand von München, hat Alfred Fröschl eine ganz ähnliche Geschichte zu erzählen. Er leitet den Ortsverband München Ost. Und auch er klingelte als Jugendlicher an einer fremden Haustür. In den Sechzigern war das. Fröschl glaubt, dass den Menschen die Fähigkeit, Dinge dem Zufall zu überlassen, verloren gegangen ist. Für jede noch so kleine Verabredung braucht es zehn Nachrichten bei Whatsapp. Funken sei das genaue Gegenteil davon. "Man weiß nie, was passiert."
Für Fröschl ist das Besondere am Funken, dass es so viel gibt, was er tun könnte. Den Mond anfunken, Sternschnuppen, Astronauten, Polarforscher. Gerade macht Fröschl aber nichts davon. Wenn er sein Funkgerät anschaltet, hört er bloß ein Rauschen. "Eine Störung", sagt er. "Aber ich finde schon heraus, woran es liegt." Normalerweise plaudert er per Funk über das Wetter, über die Technik oder seine Gesundheit. "Smalltalk halt." Maggie Maas liebt das. Natürlich sei es am Anfang gewöhnungsbedürftig gewesen, in ein Mikrofon zu fremden Leuten zu sprechen. Jetzt gehört es zu ihrem Leben. "Wissen Sie, ich glaube, jeder Mensch braucht doch ein Hobby. Und ich war nie eine Shoppingqueen." Sie sei eben eine Netzwerkerin.
Von Christina Hertel